Zur Notwehr und provozierten Notwehr (vgl. BGH 2 StR 211/24, Beschluss vom 09.09.2024 = HRRS 2024, Nr. 1519)

1. Nicht rechtswidrig handelt derjenige, der eine Tat begeht, die durch Notwehr oder Nothilfe geboten ist (§ 32 Abs. 1 StGB). Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Rechtsgutverletzung als Verteidigung ist das Bestehen einer Notwehrlage zum Zeitpunkt der Tat, die ihrerseits einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff für ein notwehrfähiges Rechtsgut des Täters (Notwehr) oder eines Dritten (Nothilfe) voraussetzt (§ 32 Abs. 2 StGB). Ein gegenwärtiger Angriff dauert nach einer Verletzungshandlung so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist. Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind dabei nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlich oder unverändert) fortdauernden Rechtsgutverletzung.

2. Hat der Angegriffene den Angriff provoziert, wird dessen Verteidigungsbefugnis sowie − aufgrund ihrer akzessorischen Natur − gleichfalls diejenige des Nothelfers eingeschränkt. In diesem Fall gilt: Erfolgt eine Provokation nicht absichtlich, sondern (nur) vorsätzlich, wird dem Täter das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt genommen; es werden an ihn jedoch umso höhere Anforderungen im Hinblick auf die Verteidigung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer die Notwehrlage provoziert hat, muss unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat.

3. Auch wenn der Täter den Angriff auf sich lediglich leichtfertig provoziert hat, muss er dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr erst Zuflucht nehmen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit nicht bietet, ist er zu der erforderlichen Verteidigung befugt.

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